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Geschichte des Judentums am Alsergrund



Historischer Überblick 1421-1624 Ghetto am Unteren Werd 1670-1782 1782-1848 1848-1914 1914-1938 1938-1945 Freythoff Jüdisches Spital Synagoge Presse Ausbildung Persönlichkeiten Dichter Gassen

HISTORISCHER ÜBERBLICK

(Jüdische Geschichte in Wien und am Alsergrund)

In Wien sollen sich die Juden zuerst auf dem Stapelplatz an der Donau im Oberen Werd, der späteren Roßau, angesiedelt haben. Als Beweis dafür gibt man bei einer Brunnengrabung aufgefundene verwitterte Denkmale und Tongeschirr an. Sieht man von dieser nicht unwidersprochen gebliebenen Nachricht ab, so ist jener Fund bemerkenswert, der im Sockel des Hauses Van- Swieten-Gasse 16 gemacht wurde: Ein Ghettogrenzstein mit eingravierten Insignien der christlichen und jüdischen Gerichtsbarkeit und der Jahreszahl 1656. Er markierte die Grenze zwischen der Judenstadt und dem Besitz des Karmeliterklosters am Unteren Werd in der Leopoldstadt. Die Inschriften sind daher - beiden Kulturkreisen entsprechend - doppelt vorhanden.

Der Wiener assoziiert das jüdische Wien vor allem mit dem 2. Bezirk, der Leopoldstadt. Hier lebten die meisten jüdischen Bürger Wiens. Der Alsergrund hatte den zweithöchsten Anteil an der jüdischen Bevölkerung in Wien. Hier der direkte Vergleich (nach Dr. Leo Goldhammer: Die Juden Wiens. Eine statistische Studie, Wien 1927):



JahrLeopoldstadt Alsergrund
1910 56.779 (33,95 %) 21.615 (20,50 %)
1923 59.722 (38,49 %) 23.746 (25,10 %)




Vor der ersten Vertreibung der Juden aus Wien 1421 war ihr Aufenthalt in der Stadt nur durch Privilegien (Königsschutz) gesichert; diese galten nur für Einzelpersonen. Judenregale waren ursprünglich königliche Rechte. Als Helfer im aufstrebenden Städtewesen im Warenhandel und in den Darlehensgeschäften dringend benötigt, wurden sie jedoch von den erstarkten Bürgern als übermächtige Konkurrenz vertrieben. 1421 ist aber auch das Entstehungsjahr der jiddisch-deutschen Handschrift der WIENER GESERA.



1421-1624
Die aus Wien vertriebenen Juden siedelten sich in Ungarn und in Niederösterreich an, viele waren jedoch verarmt. Die Masse dieser verarmten Juden war auf dem Land im Kleinhandel, im Weinbau, als Hausierer und als Bettler tätig. Im 15. Jahrhundert waren nur vereinzelt Juden in Wien zu finden. In Wien entwickelte sich auch der Begriff des hofbefreiten Juden (seit 1582 nachweisbar). Diese Juden wurden vom Tragen des Judenzeichens befreit. Sie unterstanden ausschließlich dem Obersthofmarschallamt. Für den Kaiser wurden sie dadurch zu einer wichtigen Einnahmequelle für die zahlreichen und teuren Türkenkriege. Es bildete sich zögernd eine erste jüdische Gemeinde in Wien (Judenplatz). 1624 erfolgte die zweite Ausweisung aus Wien.


GHETTO AM UNTEREN WERD

Die Juden erhielten ein neues Judenprivileg und eine Wohnanweisung für die Leopoldstadt von Ferdinand II. Sie konnten nun auch Grund und Boden erwerben. Die neue Judenstadt hatte viele kommunale Einrichtungen. 1648 fand am Ende des 30-jährigen Krieges ein großer Zustrom von Flüchtlingen aus dem Osten (Polen, Russland) statt. 1670 erfolgte eine neuerliche Ausweisung aus der Stadt. Mit dem konfiszierten Vermögen der Juden wurden neuerlich die Schulden aus den jüngsten Türkenkriegen beglichen.



1670-1782
Das Zeitalter der Hofjuden

Reiche Juden konnten sich Privilegien erkaufen. Diese sogenannten Hofjuden hatten eigene Titel: Hoffaktor oder Kammeragent. Nur das Familienoberhaupt durfte nach außen hin handeln. Sie unterstanden wieder direkt der Gerichtsbarkeit des Oberhofmarschalls. Die bekanntesten Hofjuden waren: Samuel Oppenheimer (1630-1703) und Samson Wertheimer (1658-1724). Zu den privilegierten Familien zählten auch die Familien Arnstein, Eskeles und Rothschild. Nach dem Frieden von Passarowitz 1718 kamen einige türkische Juden nach Wien, die den Ost-West-Handel nachhaltig belebten. In dieser Epoche durften die Juden ihren religiösen Bedürfnissen nur in ihren Häusern nachgehen, nicht aber in der Öffentlichkeit.




1782-1848
TOLERANZPATENT und VORMÄRZ

Durch die josephinische Toleranz wurde die Assimilation stark begünstigt. Die Juden sollten dem Staat „nützliche“ Bürger werden. Auf Grund ihrer außerordentlichen ökonomischen Leistungen standen sie in einem Naheverhältnis zum Landesfürsten. Sie wurden auch zu wirtschaftlichen Tätigkeiten (Fabriksgründungen) ermuntert, in kultureller Hinsicht jedoch weiterhin unterdrückt. So assimilierten sich die wohlhabenden Juden noch schneller an ihre Umgebung. 1789 erfolgte ein Erlass für die jüdische Namensgebung. Die orthodoxe, traditionsbewusste Schicht erkannte in der Toleranz eine wesentliche Gefahr der jüdischen Einheit und eine große Gefahr für ihre religiöse Substanz. Das Verbot für eine Gemeindebildung blieb weiterhin aufrecht. 1792-1848 kontrollierte das JUDENAMT alle Juden. Die Juden waren wichtige Partner in Handel und Wirtschaft.

Um 1800 lebten in Wien 113 tolerierte jüdische Familien. Nathan Freiherr von Arnstein und Bernhard Freiherr von Eskeles waren Mitbegründer der Ersten Österreichischen Sparcasse 1819.

Am 9. April 1826 erfolgte die Einweihung des neuen Tempels in der Seitenstettengasse.




1848-1914
VON DER REVOLUTION zum Ersten WELTKRIEG

Dr. Adolf FISCHHOF (1816-1899) war eine der führenden Gestalten der Revolution von 1848. Erst das Revolutionsjahr 1848 brachte das endgültige Aus für die Judensteuer. 1867 brachte der Ausgleich den Juden die volle Religions- und Glaubensfreiheit in beiden Reichshälften. In diesen Zeitabschnitt fällt auch die Gründung der Israelitischen Kultusgemeinde 1852. Die Vorläufer und die Ansätze zur Gründung der Kultusgemeinde waren: Friedhof und Spital in der Seegasse; Einsatz von Vertretern der jüdischen Gemeinde 1792 und 1826 die Gründung des Wiener Stadttempels. Der erste Rabbiner war Isaak Mannheimer (Mannheimer- oder Wiener Ritus: Gottesdienst in hebräisch, Predigt in deutsch), erster Kantor war Salomon Sulzer und erster Präsident der Kultusgemeinde wurde Leopold von Wertheimstein.

Um 1870 Erstarken des Antisemitismus in Wien. Seine Ursachen waren vielfältig. Durch die endgültige Emanzipation von 1867 wurde den Juden das Vorwärtskommen im Liberalismus erleichtert. Dadurch entstand aber auch Missgunst und Neid. 1870/1880 erfolgte eine starke Zuwanderung nach Wien von orthodoxen Juden aus dem Osten (aus Galizien, aus Ungarn, viele Zuwanderer auch aus Russland nach den russischen Pogromen). Durch den Wiener Börsenkrach 1873 wurde der Antisemitismus weiter verstärkt. Als Vorbild des deutschen Antisemitismus war besonders Georg Ritter von Schönerer aktiv. 1897 wird Dr. Karl Lueger Bürgermeister von Wien. Unter Lueger blieb vielen Juden der Staatsdienst verschlossen. Sie wandten sich daher oft Freiberufen zu. Carl von Vogelsang fundierte den christlich-sozialen Antisemitismus.




1914-1938

Im Ersten Weltkrieg kämpften viele Juden an der Front. Sie kamen oft mit Auszeichnungen zurück (u. a. auch Karl Farkas). Nach Kriegsende erfolgte eine weitere Zuwanderung aus dem Osten. Meist handelte sich um mittellose Juden. 1923 lebten 201.513 Juden in Wien, das waren 10,8 % der Gesamtbevölkerung.

In die Zwischenkriegszeit fällt auch die Entstehung des Mythos vom internationalen Wirtschaftsmonopolismus - wohl als Folge des zunehmenden Antisemitismus und als Folge des Rufes „Der Jud ist schuld!“. Ab 1930 beginnen die antisemitischen Ausschreitungen terroristische Formen anzunehmen. Besonders betroffen waren jüdische Geschäftsleute und jüdische Studenten. Am 26. Oktober 1932 erfolgte eine kurze Sperre der Universität Wien wegen ununterbrochener Überfälle der Nationalsozialisten auf jüdische Studenten, denen die akademischen Behörden hilflos zusahen. „Die Verarmung der Juden Wiens war eine Folge der durch die antisemitischen Einflüsse verursachten Ausschaltung des jüdischen Elementes aus allen Bereichen der Wirtschaft“ (Hugo Gold, Geschichte der Juden Wiens, Tel Aviv 1966, S. 65). Auch die Kultur und die Wissenschaft litten unter der Ausschaltung des jüdischen Elementes.




1938-1945

Durch die Abstimmung für den Anschluss an Hitler-Deutschland am 10. April 1938 begann sich die Situation für die Juden dramatisch zu verschlechtern. Erst jetzt begriffen viele Wiener Juden den Ernst der Lage und versuchten noch im letzten Moment zu emigrieren. Die wohl endgültige Zerschlagung des Wiener Judentums erfolgte in der Reichskristallnacht am 10. November 1938. In dieser Situation kam der Kultusgemeinde eine sehr große Bedeutung zu, da sie für fast alle Emigranten die Ausreisedokumente besorgte und ausstellte. Die nationalsozialistische Gewaltherrschaft löschte in nur wenigen Jahren die blühende Wiener jüdische Gemeinde aus, sie wurde total vernichtet. Ab 1940 erfolgten wöchentliche Transporte aus Wien in die Konzentrationslager (ca. 1000 Personen pro Woche). Ungefähr 300 Juden überlebten den „Holocaust“ in Wien, als U-Boote versteckt.

Auswanderungstabelle (nach Hugo Gold): Zwischen 1938 und 1941 verließen 128.500 Personen Wien; davon emigrierten

55.505 nach Europa (Großbritannien: 30.850),
28.700 nach Nordamerika (USA: 28.615, Kanada: 82, Alaska: 3),
11.850 nach Mittel- und Südamerika,
18.977 nach Asien (China: 18.124),
1.786 nach Australien,
644 nach Afrika,
91 nach Neuseeland und
2 nach Tasmanien.



Aus Wien wurden 43.421 Juden in Konzentrationslager deportiert. 1980 lebten in Wien 6.625 Juden (derzeit etwa 8000). Es ist eine sehr kleine jüdische Gemeinde in Wien geworden, doch diese ist sehr aktiv. Sie stellt ein bedeutsames Element in der Wiener Kulturlandschaft dar.




FREYTHOFF

Der Juden-Freythoff Der älteste Grabstein des Judenfriedhofes in der Seegasse ist mit 1582 datiert. Die erste urkundliche Erwähnung als „Juden-Freythoff“ im Oberen Werd (Seegasse 9-11) erfolgte 1629. Er muss aber schon einige Zeit davor in Verwendung gestanden sein, da bei einer Grundzusammenlegung zu seiner Vergrößerung erwähnt wurde, er hätte schon viele Jahre vorher bestanden. Nach der Vertreibung von 1670 wurde der Friedhof durch die Stadtverwaltung abgezäunt und das Areal erhalten. Für diesen Zweck hinterlegten die Brüder Fränkel 4000 Gulden beim Magistrat der Stadt Wien. Die Erben der Brüder Fränkel verkauften den Besitz an Samuel Oppenheimer, der den Friedhof mit einer Steinmauer umgeben ließ. Daher wurde 1684 der Kaufantrag des Simon Wagenheim, der einen Teil des Friedhofes erwerben wollte, abgewiesen. Später wurden auch Grabmonumente aufgestellt, die man aus anderen aufgelassenen Friedhöfen brachte. In die Grabsteine waren hebräische Schriftzeichen eingemeißelt. Oft erklärte ein wappenartiges Reliefbild den Namen des Verstorbenen; so war zum Beispiel eine Krone Sinnbild für den Namen Kröndl. Aber auch Berufsbezeichnungen wurden dargestellt: segnende Hände am Grab eines Priesters, ein Krug bei einem Leviten. Selbstverständlich findet man auch echte Familienwappen auf den Grabsteinen. Auf einem Monument fehlte jedoch die Schrift gänzlich; es zeigte lediglich einen Fisch. Nach der Sage vom sprechenden Fisch soll hier das Tier begraben sein, das bei seiner qualvollen Tötung das jüdische Glaubensbekenntnis gesprochen hat.

1785 erfolgte die Schließung des Friedhofes durch Kaiser Josef II. (generelles Friedhofsverbot innerhalb des Linienwalls). Die Toten mussten ab sofort auf dem Währinger Friedhof bestattet werden. Im Jahre 1844 stiftete Sigmund Edler von Wertheimstein das Siechenhaus. Bei dieser Gelegenheit rodete man das durch zwei Generationen gewachsene Gestrüpp des aufgelassenen 2.258 m2 großen Friedhofs und richtete die eingesunkenen und umgestürzten Grabsteine wieder auf .




JÜDISCHES SPITAL

1698 gründete der Hofbankier Samuel Oppenheimer das jüdische Krankenhaus in der Seegasse, das 1793 renoviert und umgebaut wurde. Auf seinem Giebel fand sich die Aufschrift: Krankenhaus für die leidende Menschheit, erbaut von der hiesigen israelitischen Nation. Im Jahre 1844 stiftete Sigmund Edler von Wertheimstein dazu ein Siechenhaus, das 1854 eröffnet wurde. 1888 wurde aus Anlass des 40-jährigen Regierungsjubiläums Kaiser Franz Josephs ein großes neues Gebäude errichtet, welches sich bis 1972 ab dieser Stelle befand, das vierstöckige „Altersversorgungshaus“. Neun Jahre später begann man mit dem Zubau eines Siechenhauses. Die ständigen Vergrößerungen und Neubauten waren notwendig, weil die Zahl der Juden in Wien eine steigende Tendenz aufwies. 1900 lebten auf dem Alsergrund 17.206 Juden, das waren 18,2 % der Bezirksbevölkerung, wovon der größte Teil auf die Roßau entfiel.

1910 wurde eine Dampfwäscherei in Betrieb genommen. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde das Gebäude bis zuletzt als Krankenhaus verwendet. Heute befinden sich an seiner Stelle die Zentrale der Wiener Pensionistenheime und das Pensionistenheim „Roßau“. Eine Gedenktafel in deutsch und hebräisch erinnert an das jüdische Krankenhaus in der Judengasse, wie die Seegasse früher auch genannt wurde. Der alte jüdische Friedhof befindet sich immer noch an seinem alten Platz. Man kann ihn auch heute noch besichtigen.




SYNAGOGE

Der religiöse Mittelpunkt der Juden am Alsergrund war die 1888 von Max Fleischer errichtete Synagoge in der Müllnergasse 21.
Max FLEISCHER (1841-1905)
war ein Schüler Van der Nülls und Friedrich Schmidts. Die Synagoge im 9. Bezirk wurde im neugotischen Stil von Fleischer erbaut. Sie war, wie auch die anderen von Fleischer erbauten Synagogen, architektonisch dem christlichen Gotteshaus angeglichen. Das sozial aufstrebende Judentum brachte seine neue Wohlhabenheit in der reichen Verzierung ihrer Gotteshäuser zum Ausdruck. Fleischer bemühte sich um eine Vereinheitlichung des Innenraumes, z. B. durch den Verzicht der Frauenempore. Der Grundriss zeigte eine dreischiffige Kirche ohne Frauenempore; das Mittelschiff hatte 322 Sitze für die Männer und die Seitenschiffe 248 Sitze für die Frauen. Der Haupteingang zur Synagoge befand sich in der Grünentorgasse 13. In der Müllnergasse war die neugotische Fassade im Ziegelrohbau mit zwei je 35 Meter hohen Türmen sichtbar. Hier befand sich die Ostseite mit dem Allerheiligsten; von dieser Seite konnte man über zwei Seiteneingänge in die Synagoge gelangen.

Auch diese Synagoge fiel der Reichskristallnacht zum Opfer. Einheiten der 89. SS-Standarte (SS-Obersturmführer H. Riegler) zerstörten den Tempel.




PRESSE

Zur Emanzipation und zur Assimilation trug die Presse einen großen Teil bei. Für die hebräische Publizistik im Vormärz war Anton Edler von Schmidt (er war ein Christ) wichtig. In seiner Buchdruckerei in der Strudlhofgasse wurden viele hebräische Zeitschriften gedruckt, so u. a.: Bikkure ha´ittim von 1820 bis 1832 von Schalom Cohen. Es handelte sich dabei um eine Art Jahrbuch. Kerem Chemed (der liebliche Weinberg), Ozar nechmad (1855-1863, der liebliche Schatz). Diese Zeitschrift beschäftigte sich nur mit der Vergangenheit der Juden, nicht aber mit ihrer Gegenwart.

Eine weitere Gründung dieser Zeit war das ILLUSTRIERTE WIENER EXTRABLATT durch O. F. Berg und Franz J. Singer. Die Druckerei befand sich in der Berggasse 31. Das Extrablatt erreichte eine breite Leserschicht durch eine neuartige Sensationsberichterstattung, durch Illustration im Text und durch Hervorhebung der Lokalberichterstattung mit volkstümlichem Charakter.

Moritz SZEPS (1834-1902)
war wohl einer der bedeutendsten, bekanntesten und besten Journalisten Österreichs in der franko-josefinischen Ära. Ab 1864 war er der Mitbesitzer und Chefredakteur des „Neuen Wiener Tagblattes“. Unter seiner Leitung wurde diese Zeitung neben der „Neuen Freien Presse“ zum führenden Blatt in Österreich. Szeps schrieb aber nicht für das Bildungsbürgertum allein, sondern er bemühte sich als Vorkämpfer der Volksbildung auch um den einfachen Mann von der Straße. Nach dem Ende der liberalen Ära in Österreich (ab 1879) hatte Szeps in Wien vor allem mit dem beginnenden Antisemitismus zu kämpfen. Nach Meinungsverschiedenheiten mit den Mitbesitzern des „Neuen Wiener Tagblattes“ verließ Szeps die Redaktion. 1886 gründete Szeps eine eigene Zeitung, das „Wiener Tagblatt“; dadurch richtete er sich aber finanziell zugrunde. Als politischer Berater von Kronprinz Rudolf spielte Szeps auch eine bedeutende Rolle in der lnnenpolitik. Kronprinz Rudolf schrieb u. a. viele Leitartikel (anonym) für das „Wiener Tagblatt“.

Von 1877 bis zu seinem Tode 1902 lebte Moritz Szeps am Alsergrund. Von 1877 bis 1888 wohnte er mit seiner Familie in dem für ihn 1876/1877 errichteten Palais in der Liechtensteinstraße 51. Das Palais des Journalisten wurde ein Treffpunkt des künstlerischen und wissenschaftlichen Lebens in Wien. Nach seinem finanziellen Niedergang wohnte er für viele Jahre auf der Adresse Alserbachstraße 20.




AUSBILDUNG

Auch die beiden Gymnasien des Bezirkes, das Bundesrealgymnasium Glasergasse und das Wasagymnasium, hatten einen sehr hohen jüdischen Schüleranteil.

Die kulturelle Elite Wiens erhielt ihre Ausbildung in den Gymnasien. Die Juden stellten den überwiegenden Teil des liberalen Bürgertums dar. Stefan Zweig, Friedrich Torberg, Felix Braun und der Philosoph Philipp Frank waren Schüler im Wasagymnasium.

79,8 % aller jüdischen Schüler Wiens gingen in den Bezirken 1, 2 und 9 zur Schule. Im Durchschnitt waren etwa 30 % der Schüler jüdischer Herkunft. Das Wasagymnasium hatte eine Mehrheit an jüdischen Schülern.

„Wien um 1900 wurde nicht ausschließlich von Juden geprägt, sie stellten bei weitem jedoch die Mehrheit, und ihre Stellung macht sie in vieler Hinsicht zur Kernschicht der modernen Kultur“ (Steven Beller, Wien und die Juden 1867-1938, Wien 1993, S. 81).

Im April 1938 mussten die Schüler mosaischen Glaubens alle öffentlichen Schulen verlassen. Der Ruf „Juda verrecke!“ erschien zum ersten Male auf einer Plakatwand im 9. Bezirk im Jahre 1931 (H. Gold, S. 60). Die fortschreitende Diskriminierung der Juden unter den Nationalsozialisten trieb viele in den Selbstmord (die Kultusgemeinde führte für 1938 428 Selbstmorde an!) und in die Emigration. Den Juden war es im 9. Bezirk u. a. untersagt, öffentliche Parkanlagen zu benutzen. Es stand ihnen nur mehr der Liechtensteinpark (exterritorial) zur Verfügung.




PERSÖNLICHKEITEN

Bekannte jüdische Persönlichkeiten, die am Alsergrund lebten oder hier wirkten:

Sigmund FREUD (1856-1939)
Eine Sonderstellung innerhalb dieser Persönlichkeiten nimmt wohl Sigmund FREUD ein. Seine Wohnung und Praxis befand sich von 1891 bis 1938 in der Berggasse 19. Im selben Haus befand sich links vom Eingang der koschere Fleischhauer Kornmehl. Freud bezog mit seiner Familie eine Wohnung in diesem neu errichteten Gründerzeithaus. An derselben Adresse lebte von 1878 bis zum Abbruch des alten Hauses einer der Gründungsväter der Sozialdemokratie, Dr. Victor Adler (1852-1918). Sein Vater erbte 1878 das alte Haus. Victor Adler, der Arzt, hatte in diesem Haus seine Praxis. Er wurde als „Armeleutedoktor“ bekannt. Adler wurde durch seinen Schwager Heinrich Braun zum Sozialismus bekehrt. Adler hatte wesentlichen Anteil an der Gründung der österreichischen Sozialdemokratie am Hainfelder Parteitag am 30. Dezember 1888. Weiters gründete er 1889 die Arbeiterzeitung. Berühmtheit erlangte auch sein Sohn Friedrich Adler. Er erschoss am 21. Oktober 1916 den österreichischen Ministerpräsidenten Graf Stürgkh. Friedrich Adler hielt diesen Schritt als leidenschaftlicher Kriegsgegner für notwendig. Victor Adler erlebte noch, dass das Todesurteil für seinen Sohn in eine Kerkerstrafe umgewandelt wurde. Es erfolgte dann sogar seine Freilassung. Am 30. November 1918 wurde Victor Adler zum Staatssekretär für Äußeres der provisorischen Regierung gewählt.

Das Leben und Wirken des Dr. Sigmund Freud ist im Freud-Museum in der Berggasse 19 bestens dargestellt und dokumentiert. An dieser Stelle seien nur einige für den Alsergrund interessante Daten erwähnt.

Freud lebte von September 1891 bis März 1938 in der Berggasse 19. Seine drei jüngsten Kinder wurden hier geboren: Ernst, Sophie und Anna. Freud litt ab 1923 an Kieferkrebs und musste zahlreiche Operationen über sich ergehen lassen.

In der Berggasse verfasste er die folgenden bedeutenden Werke: Neurologische Schriften; Studien über die Hysterie (gemeinsam mit Dr. Breuer); Die Traumdeutung; Der Witz und seine Beziehung zum Unbewußten. In der Berggasse 19 fanden auch die berühmten Mittwochabendgesellschaften statt. Daraus entstand die Psychoanalytische Vereinigung. Von Mai 1936 bis März 1938 befanden sich alle Einrichtungen der Wiener Psychoanalytischen Vereinigung, so auch der eigene Verlag, in der Berggasse 7. In der Wasagasse 10 befand sich ab 1932 die psychoanalytische Erziehungsberatungsstelle, initiiert von August Aichhorn.

Am Ende seines Lebens schrieb Freud an dem Buch „Der Mann Moses und die monotheistische Religion“. Dieses Buch stellt seine Auseinandersetzung mit dem Judentum dar.

Als eine der wenigen weiblichen Exponenten der Alsergrunder Judenschaft sei an dieser Stelle Anna FREUD (1895-1982) genannt. Sie wurde am 3. 12. 1895 als letztes Kind des Dr. Sigmund Freud und seiner Frau Martha, geb. Bernay, in der Berggasse 19 geboren. Sie hatte als einzige der Töchter eine abgeschlossene Ausbildung als Volksschullehrerin. Die Arbeit mit und über Kinder füllte ihr ganzes Leben aus. Von 1918 bis 1921 arbeitete sie in der Analyse bei Sigmund Freud. 1922 wurde sie Mitglied der Wiener Psychoanalytischen Vereinigung. Ab 1923 führte sie eine eigene Praxis als Kinderpsychologin. In diesem Jahr übernimmt Anna Freud auch die Arbeit und die Kongressteilnahme für ihren Vater, da dieser an Kieferkrebs erkrankt. Sie baute um ihn ihre „Wahlfamilie“ auf.

Einige ihrer Werke seien hier erwähnt: Einführung in die Technik der Kinderanalyse (1927); Psychoanalyse für Pädagogen (1930); Das Ich und die Abwehrmechanismen (1936); Wege und Irrwege der Kinderentwicklung (1965).

1938 erfolgte die Emigration der Familie Freud nach England. 1972 erhielt Anna Freud als erste Nichtärztin das Ehrendoktorat der Medizinischen Fakultät Wien. Im Mai 1980 erfolgte ihr letzter Wienbesuch.




JÜDINNEN

Bekannte Jüdinnen die am Alsergrund lebten und wirkten:

Im 19. Jahrhundert war es nur jüdischen Frauen der bürgerlichen Schicht möglich, sich einer interessanten Tätigkeit zuzuwenden oder einen Beruf auszuüben. Die Juden konnten es sich leisten, ein größeres Kontigent an Studierenden zu stellen und weniger berufstätige Frauen zu haben, deren Platz nach konservativ-bürgerlicher Auffassung in der Familie war. Jüdinnen betätigten sich relativ selten als Angestellte und im öffentlichen Dienst, weil sie dort kaum Aufstiegschancen hatten, auch nicht in der Industrie, sondern eher in „sauberen“ Berufen wie Damenschneiderei, Modisterei und Weißnäherei. Erst nach dem Ersten Weltkrieg konnten Frauen studieren und erhielten das Wahlrecht. Im Judentum besitzt die Wohltätigkeit einen sehr hohen Stellenwert, sodass sich viele Frauen ihr Betätigungsfeld auf diesem Gebiet suchten.




Emma ADLER, geb. Braun (1858-1935)
Durch ihre Brüder und ihren Mann Dr. Victor Adler angeregt, engagierte sie sich für die sozialistische Bewegung. Sie wurde bekannt als Übersetzerin, Schriftstellerin und Sozialistin. Der Schwerpunkt ihrer Tätigkeit war die Bildung der Arbeiterjugend. Sie redigierte von 1909 bis 1917 die Jugendbeilage der „Arbeiterinnen-Zeitung“.

Emma Adlers Hauptwerk ist 1906 erschienen: „Die Berühmten Frauen der Französischen Revolution“.




Berta PAPPENHEIM (1859-1936)
Sie geht als die berühmte „Anna 0.“ in die Geschichte der Psychoanalyse ein. Sie lebte auch in der Berggasse. Als „Anna 0.“ nimmt sie einen Ehrenplatz in der „Studien über Hysterie“ von Breuer und Freud ein. Wohl auch ihre Erziehung als bürgerliche Tochter, die zum Nichtstun verpflichtet ist, führte zu ihrer hysterischen Erkrankung. 1889 übersiedelte Berta Pappenheim nach Frankfurt am Main und arbeitete im Sozialwesen und in der Frauenbewegung. Sie blieb aber immer eine gläubige Jüdin. 1904 gründete sie den jüdischen Frauenbund und schaffte es, die Sozialarbeit professionell zu leiten.




Elisabeth BERGNER (1897-1986)
Sie wuchs in Wien auf. Bevor sie in Deutschland und in Übersee eine große Schauspielerkarriere machte, spielte sie auch am Alsergrund Theater. Sie war an der Neuen Wiener Bühne in der Wasagasse 33 zu sehen.




Helene DEUTSCH, geb. Rosenbach (1884-1982)
Sie wächst in einer assimilierten jüdischen Familie auf. Um die Erlaubnis zum Medizinstudium in Wien muss sie aber hart kämpfen. Nach Beendigung des Studiums arbeitete sie als unbezahlte Assistentin in der psychiatrischen Universitätsklinik Wagner-Jaureggs. Durch ihr Interesse für die Psychoanalyse und mit ihrem Eintritt in die Wiener Psychoanalytische Vereinigung verließ sie die Klinik. Der Name von Helene Deutsch wird vor allem mit Beiträgen zur Psychologie der Frau in Zusammenhang gebracht. Sie war die erste Leiterin (1924-1935) des Ausbildungsinstitutes der Wiener Psychoanalytischen Gesellschaft.




Berta ZUCKERKANDL, geb. Szeps (1863-1945)
Sie war die Tochter von Moritz Szeps, dem Begründer des „Neuen Wiener Tagblattes“ (1864). Sie erhielt eine sehr gute Ausbildung und wurde eine engagierte Journalistin. Sie war mit dem Anatomen Dr. Emil Zuckerkandl verheiratet. Ihr bekannter Salon stand in engem Zusammenhang mit der Gründung der Wiener Secession. In ihren Memoiren „Österreich intim. Erinnerungen 1892-1942“ kommen fast alle wichtigen und berühmten Personen der Jahrhundertwende vor. Auch ihre Beziehungen zu Frankreich waren höchst interessant, da ihre Schwester Sofie mit dem Bruder des französischen Ministerpräsidenten, Paul Clemenceau, verheiratet war.




Jüdische Ärzte

Im Anschluss an Freud seien hier einige der bekanntesten jüdischen Ärzte genannt, welche die „Wiener Schule“ erst zu dem machten, was sie war. Vor dem 18. Jahrhundert gab es in Wien nur vereinzelt jüdische Ärzte, denen starke Restriktionen auferlegt wurden. Besonders Gerard van Swieten (1700-1772), der Leibarzt von Maria Theresia, versuchte die Juden vom Medizinstudium auszuschließen.

1789 promovierte der erste Jude in Wien: Samuel Ackord.

1860 wurde Hermann Zeissel als erster Jude in den Lehrkörper der medizinischen Fakultät aufgenommen. Der Anteil der jüdischen Ärzte an der modernen Medizin war sehr hoch. Um 1920 rekrutierte sich die Studentenschaft der Medizinischen Fakultät zu 48 % aus Juden.

1930 gab es in Wien ca. 4110 Ärzte, davon ca. die Hälfte Juden. So ist wohl die plötzliche medizinische Unterversorgung Wiens durch die erzwungene Emigration vieler jüdischer Ärzte erklärlich.




Heinrich von BAMBERGER (1822-1888)
Förderte die Innere Medizin. 1851 Assistent bei J. Oppolzer an der II. Medizinischen Klinik in Wien. 1872 wird er sein Nachfolger. Sein Spezialgebiet war die Diagnostik der Herzkrankheiten.




Josef BREUER (1842-1925)
war auch als Assistent Oppolzers an der Klinik. Sein Wissensgebiet war die Selbststeuerung der Atmung und die Funktion des Ohrlabyrinthes als Organ des Gleichgewichtssinnes.




Julius MANNABERG (1860-1941)
er war ein Lieblingsschüler des berühmten Chirurgen Hermann Nothnagel. Von 1919 bis 1930 war er Direktor der Wiener Allgemeinen Poliklinik. Er erkannte auch die Streptokokken als Erreger der Nephritis.




Leopold OSER (1839-1910)
entdeckte gemeinsam mit H. Schlesinger ein Erregungszentrum in der Medulla oblongata. Er ersetzte die starren Magensonden durch einen weichen Magenschlauch.




Jakob PAL (1863-1936)
versuchte die arterielle Hypertonie zu ergründen. Er führte als erster Blutdruckmessungen durch.




1873 erfolgte die Gründung der ersten Lehrkanzel für Allgemeine und Experimentelle Pathologie im deutschen Sprachraum in Wien durch den Pathologen Carl Freiherr von ROKITANSKY (1804-1878). Erster Ordinarius wurde Salomon STRICKER (1834-1898).

Durch die neue Forschungsstelle wurde auch die Entdeckung der Blutgruppen durch Karl LANDSTEINER (1868-1943) ermöglicht. Für diese Leistung erhielt er 1930 den Nobelpreis.




Maximilian LEIDESDORF (1816-1889)
Seine These lautete: „Psychische Störungen bei Geisteskrankheiten sind nicht die Krankheit selbst, sondern nur Symptome“. Er war der Begründer des klinisch-psychiatrischen Universitätsunterrichtes in Österreich.




Erwin STRANSKY (1877-1962)
war Assistent an der I. Psychiatrischen Klinik bei J. Wagner-Jauregg (1857-1940). Er kehrte nach seiner Emigration wieder zurück und wurde 1945 Leiter der Wiener Städtischen Nervenheilanstalt Rosenhügel. Er beschäftigte sich vor allem mit Psychiatrie, Neurologie und mit der Psychohygiene.




Hans HOFF (1897-1969)
nach der Rückkehr aus der Emigration wurde er 1950 Vorstand der Universitätsklinik. Er beschäftigte sich vor allem mit der Pharmakopsychiatrie und der psychiatrischen Rehabilitation.




Ludwig Wilhelm MAUTHNER Ritter von MAUTHSTEIN (1806-1858)
durch seine Initiative wurde die Kinderheilkunde als eigenes Fach akzeptiert.

1837 ließ er auf eigene Kosten ein Kinderspital am Schottenfeld errichten, welches 1849 in das neu errichtete St.-Anna-Kinderspital übersiedelte.

1850 wurde Mauthner a.o. Professor für Kinderheilkunde.




Robert BARANY (1876-1936)
war ein Schüler von Adam Politzer. Er erhielt 1915 den Nobelpreis für seine Arbeit „Physiologie und Pathologie des Bogengangapparates“.




Johann SCHNITZLER (1835-1893)
war Leiter der laryngologischen Abteilung der Allgemeinen Poliklinik. Sein Sohn Arthur Schnitzler (1862-1931) war auch als Laryngologe bei seinem Vater tätig.




Heinrich NEUMANN (1873-1939)
hatte großen Anteil an der Erforschung der Krankheiten des Ohrlabyrinthes.




Ernst FLEISCHL von MARXOW (1846-1891)
war ein Studienfreund von Freud. Er zog sich bei der Untersuchung einer Leiche eine Infektion zu, die Folge war ein Neurinom. Fleischl entdeckte die elektrische Aktivität des Gehirns. Er war auch ein Pionier der Elektroenzephalographie.




Emil ZUCKERKANDL (1849-1910)
war der Lieblingsschüler des Anatomen Josef Hyrtl. Zuckerkandl war eine so große Ausnahmeerscheinung, dass die Anatomische Fakultät 1879 seine Ernennung zum a.o. Professor ohne Habilitation vorschlug. 1888 übernahm er als Ordinarius die Lehrkanzel.




Julius TANDLER (1869-1936)
war ein Schüler von Zuckerkandl. 1899 erfolgte seine Habilitation, 1910 übernahm er die Leitung der ersten anatomischen Lehrkanzel. Tandler war auch amtsführender Stadtrat (als Sozialdemokrat) für Wohlfahrtspflege in Wien. Er erneuerte das Fürsorgewesen, bekämpfte die Säuglingssterblichkeit und die Tuberkulose. Die Mutterberatungsstellen, die zentrale Kinderübernahmsstelle und das kostenlose Säuglingspaket sind seiner Initiative zu verdanken. Tandler starb 1936 in Moskau.




Otto LÖWI (1873-1961)
erhielt 1936 gemeinsam mit H. Dale den Nobelpreis für die Entdeckung des Azetylcholin: durch die Reizung des Vagus (X. Hirnnerv) wird ein Stoff frei, der den Herzrhythmus verlangsamt. Nach seiner Emigration arbeitete er an der New York Medical School weiter.




Felix MANDL (1892-1957)
nach seiner Rückkehr übernahm er die Leitung der chirurgischen Abteilung des Franz Joseph Spitals. Er beschäftigte sich intensiv mit der Problematik von Sportunfällen sowie dem Karzinom und seiner Bekämpfung. Ab 1954 war er Mitglied des Wiener Landtages als sozialistischer Mandatar.




Erich URBACH (1893-1946)
lebte nach seiner Emigration in Philadelphia, wo er eine Klinik für allergische Krankheiten leitete. Sein Spezialgebiet waren Hautkrankheiten und Ernährung.




Viktor E. FRANKL (1905-1997)
Professor für Neurologie und Psychiatrie an der Universität Wien, Professor für die von ihm begründete Logotherapie an der International University in Kalifornien. Er selbst überlebte das Konzentrationslager Auschwitz, seine ganze Familie wurde aber umgebracht.




Theodor HERZL (1860-1904)
Eine Ausnahmeerscheinung der am Alsergrund wohnhaften und hier wirkenden Juden war Theodor HERZL. Er wohnte in der Berggasse 6. In der Türkenstraße 9 befand sich der Sitz für Herzls engeres Aktionskomitee, welches für den Zionismus von größter Bedeutung war. Durch Herzls Ideen wurde die Kluft zwischen orthodoxen und assimilierten Juden immer größer. Herzl, der als traditionsloser, emanzipierter Jude in Budapest aufwuchs, wurde der künftige Anführer des Zionismus.

Das Wien, das Herzl nach der Übersiedlung seiner Familie 1878 in die Hauptstadt kennenlernte, war, wie folgendes Zitat beschreibt, sehr widersprüchlich und faszinierend:

„Ein Gesamtbild der franko-josephinischen Epoche zeigt einen seltsamen Gegensatz zwischen der politischen Entwicklung mit ihren zahlreichen Brüchen, dem zunehmenden Pessimismus, den Exzessen stupider Nationalismen, der Selbstausschaltung des Parlamentes durch periodische Obstruktion auf der einen Seite und dem imponierenden wirtschaftlichen und kulturellen Aufschwung auf der anderen.“ (Erich Zöllner, Geschichte Österreichs, Wien 1979, S. 477)

Herzl, der promovierte Jurist, entscheidet sich für eine Schriftsteller- und Journalistenlaufbahn. Seine Dramen werden auch im Burgtheater aufgeführt. Mit dem Drama „Das neue Ghetto“ vollzog sich sein innerer Wandel zum Judentum (1898). In dem Roman „Altneuland“ (1902) beschäftigte er sich auch mit diesem Thema.

1883 wurde Herzl aus der Mitgliederliste der deutsch-nationalen Burschenschaft „Albia“ (Beitritt erfolgte 1881) gestrichen, die immer stärker werdende antisemitische Tendenzen annahm. Herzl war über diesen unehrenhaften Ausschluss sehr verletzt.

1891 bis 1895 war er Auslandskorrespondent der Neuen Freien Presse in Paris. Durch die Berichterstattung über die Affäre Dreyfus begann er sich intensiv mit dem Judentum zu beschäftigen.

Der Zionismus (Zion ist der von David eingenommene Zebusiterberg bei Jerusalem) ist vor allem als Gegenbewegung zur Emanzipation der Juden im Westen und als Gegenbewegung zum Antisemitismus im Westen und im Osten zu verstehen. Ihr Ziel ist Palästina, die alte und die neue Heimat der Juden. Ein gedanklicher Wegbereiter für Herzl war Dr. Leo Pinsker, ein Arzt aus Odessa. Er verfasste 1882 sein Werk „Autoemancipation. Eine Mahnung an seine Stammesgenossen von einem russischen Juden“.

1896 erschien Herzls „Judenstaat“ in Wien. Für ihn war die Lösung der Judenfrage eine rein politische Angelegenheit. Die religiöse Komponente bedachte er viel zu wenig. Für ihn konnte das jüdische Problem nicht durch Assimilation gelöst werden.

Herzl übernahm die Führung der zionistischen Bewegung, sein treuester Mitarbeiter war Max Nordau. Sein Plan stieß auf große Begeisterung, aber auch auf tiefe Ablehnung.

Der erste Zionistenkongress fand 1897 in Basel statt. Herzls Thesen führten letztlich über die Balfour-Deklaration 1917 zur Gründung des Staates Israel.




Karl FARKAS (1893-1971)


Er wurde am 28. Oktober 1893 in der Grünentorgasse 12 als Sohn des Moritz und der Franziska Farkas geboren. Sein Leben war so tragisch, dass die Zuseher seiner Auftritte, hätten sie davon gewusst, wohl nicht verstanden hätten, wie er so „lustig“ sein konnte. Sein Leben erinnert an jenes vieler Komiker (u. a. das von Maxi Böhm): Tragik im Privaten, Unterhaltung auf der Bühne. Sein Bruder beging in jungen Jahren Selbstmord (die Eltern waren nicht damit einverstanden, dass er Maler wird), Verwundung im Ersten Weltkrieg, nach seiner Eheschließung mit Anny Han 1924 wurde er Vater eines schwerstbehinderten Sohnes (Sohn Robert kam 1928 gesund zur Welt, bekam aber im 3. Lebensjahr eine Gehirnhautentzündung), Verfolgung durch die Nationalsozialisten, Flucht durch Europa bis nach Amerika, jahrelange Trennung von Frau und Kind.

Farkas besuchte das Realgymnasium in der Glasergasse, sollte danach Jus studieren, zog die Schauspielschule aber vor. Sein Debüt gab er in Olmütz und in Mährisch-Ostrau. Sein lebenslanger Traum war es, ein anerkannter klassischer Schauspieler zu werden.

Ab 1921 war er wieder in Wien an der Neuen Wiener Bühne tätig. Dieses Theater befand sich in der Wasagasse 33.

Das HARMONIETHEATER wurde 1865 von Otto Wagner für die Baronin Pasqualati, die theaterbesessen war, erbaut. Es handelte sich dabei auch um ein Freilufttheater, da die Bühne zum Garten hin zu öffnen war. Das Theater verfügte über 900 Sitze, 20 Logen und 450 Stehplätze. Bis 1908 wurde es „Varieté Orpheum“ genannt, ab 1908 war es die „Neue Wiener Bühne“, die 1925 zusperren musste. 1934 wurde der Theatersaal demoliert, nur die Fassade blieb erhalten.

Farkas wurde während der Inflationszeit „Blitzdichter“ im Simpl, um seine kleine Familie ernähren zu können. Mit seiner Familie lebte er weiterhin in der Grünentorgasse.

Fritz Grünbaum (1880-1940) wurde Farkas' Lehrmeister als Komiker. Farkas litt lange unter Grünbaums brillanter Persönlichkeit. Fritz Grünbaum schrieb auch Operettentextbücher (u. a. „Die Dollarprinzessin“, „Der Zigeunerprimas“).

Karl Farkas konnte als einziger der Nachkriegsgeneration zeigen, wie das Kabarett der Zwischenkriegszeit gespielt wurde: vor allem mit jüdischem Witz, Humor und mit sehr viel Persönlichkeit des Vortragenden. Das Wesen der berühmten Doppelconference wurde von Farkas wie folgt beschrieben: „Das Wesen der Doppelconference besteht darin, dass man einen äußerst intelligenten, gutaussehenden Mann nehme, das bin ich, und einen zweiten, also den Blöden, dazustellt. Das bist, nach allen Regeln der menschlichen Physiognomie, natürlich du!“

1924 hatte Farkas mit der Revue „Rivieratraum oder Das Mädchen aus 10001 Nacht“ großen Erfolg. Farkas schrieb das Buch, die Musik verfasste Robert Stolz. Die Revue war eine Mischform aus Varieté, Operette, Posse und Kabarett. 1929 erfand Farkas die „WunderBar“: alle spielten mit, auch das Publikum. Farkas schrieb zahlreiche Lustspiele, Drehbücher und Revuen, u. a. „Wenn Frauen wollen“ (1909), „Die WunderBar“, „Bei Kerzenlicht“ (1937)
sowie „Pop und Porno“ (1971).

Die erste Farkasrevue wurde am 4. 11. 1923 im Ronacher aufgeführt: „Wien gib acht!“ (aus dieser Revue stammt der berühmte Dienstmann-Sketch mit Hans Moser).

Von 1926 bis 1932 war Farkas (zuerst mit Grünbaum, später alleine) Direktor des Wiener Stadttheaters in der Skodagasse.

Farkas wurde auch durch seine Revueschlagertexte reich und berühmt, so u. a. mit dem Lied „Wenn die Elisabeth nicht so schöne Beine hätt' ...“.

Durch seine besseren Einnahmen leisteten sich die Farkas eine eigene Wohnung in der Ungargasse 59A und ein Haus in Edlach.

In dem 1897 erbauten Haus Porzellangasse 1 befand sich zuerst, in zwei Geschoßen, das Café Rahn, dann das Café City. Ab 1934 war Gustl Goldmann Besitzer des Cafés. Im März 1934 wurde das „ABC-Kabarett“ eröffnet (Alsergrunder Brettl City). Das erste Programm hieß: „Alles schon dagewesen“. Viele Komiker und Kabarettkünstler arbeiteten im ABC-Kabarett, so u. a. Karl Farkas, Fritz Grünbaum, Friedrich Torberg, Jura Soyfer, Hugo Wiener, Hans Weigel. Auch Josef Meinrad, Ernst Hagen und Fritz Eckhardt traten hier auf. Am 7. Mai 1934 fand ein Sprengstoffattentat des Nationalsozialisten Anton Geckel mit schwerem Sachschaden statt. Im April 1934 wurde die Revue mit dem Titel „Na, was sagen Sie dazu?“ aufgeführt. Im Oktober 1934 folgte die Revue mit dem Titel „Von A bis Z“. Ab 1935 spielte das ABC-Kabarett im Café Arkaden (Universitätsstraße 1). Am 12. März 1938 fand die letzte Vorstellung statt.

Nach seiner Emigration in die USA arbeitete Farkas dort mit vielen österreichischen Emigranten zusammen. So bearbeitete er mit Stolz und Grünwald österreichische Operetten für Amerika. So erschien Farkas in den USA als Frosch in der „Fledermaus“ und als Zsupán im „Zigeunerbaron“

Nach seiner Rückkehr nach Wien gab es für Farkas einen großen Empfang. Am 22. 7. 1946 heiratete er seine Frau zum zweiten Mal. Vor dem Krieg hatte er sich von ihr scheiden lassen, damit sie ohne jüdischen Ehemann besser mit dem behinderten Sohn in Österreich leben konnte.

Farkas kehrte nun für immer ins SIMPL zurück. Er wurde dessen künstlerischer Direktor, der kaufmännische Direktor war Baruch Picker. 1950 wurde die erste Revue gezeigt. Nach dem Tode Grünbaums im KZ Buchenwald wurde Ernst Waldbrunn sein neuer Partner für die Doppelconferencen. Am Ende dieser Conferencen war oft Farkas der „Blöde“. Als Autor dafür konnte oft Hugo Wiener gewonnen werden.

„Die Vier im Jeep“ war ein Klassiker in Wien der Nachkriegszeit: Farkas war der Amerikaner, Muliar war der Russe, Böhm war der Franzose, Heller der Engländer.

Farkas, der Radiopionier, war auch im österreichischen Fernsehen ein Mann der ersten Stunde. Seine „Jahresbilanzen“ waren bis zu seinem Tod ein Fernsehhit. Seine größte Show war wohl seine Onassis-Parodie: gemeinsam mit Elly Naschold als Jacky Kennedy trat er als Aristoteles Onassis 1969 in einer Faschingsparodie in Graz auf. Die Zeitungen berichteten mit großem Eifer über das berühmte Paar in Graz. Die beiden waren so glaubwürdig, dass wirklich keiner den Faschingsscherz erkannte.

1965 erhielt Farkas als erster Komiker vom Bundespräsidenten den Berufstitel „Professor“ verliehen. Karl Farkas war privat ein distanzierter, wortkarger Intellektueller.

Bis zu seinem Tod am 16. 5. 1971 (Darmkrebs) arbeitete er für seine Bilanzen.

Karl Farkas liegt in einem Ehrengrab der Stadt Wien begraben.




Alfred GRÜNWALD (1884-1951)


Alfred Grünwald und seinen Co-Autoren (vor allem Julius Brammer) verdanken wir viele Libretti der beliebtesten Operetten der silbernen Ära, so unter anderem die „Gräfin Mariza“ (Kalman), „Zirkusprinzessin“, „Rose von Stambul“, „Victoria und ihr Husar“ (Paul Abraham), „Die Gold´ne Meisterin“, „Blume von Hawaii“, „Eine Frau, die weiß was sie will“, „Venus in Seide“, „Ball im Savoy“.

Alfred Grünwald wurde als Sohn eines ungarischen Juden (Vater war Hut- und Hutfutterfabrikant) in Wien geboren. Nach seiner Heirat mit Minna, geb. Löwenstein, aus Mödling wohnte er mit seiner Frau im Haus seines Schwiegervaters in der Seegasse 21. Er hatte zwei Kinder: Tochter Meta, Sohn Heinz (Henry Grunwald). Durch den Erfolg als angesehener Librettist leisteten sich die Grünwalds eine neue Wohnung in der Kolingasse 4.

Wie so viele Komponisten und Librettisten dieser Zeit (u. a. Lehar, Strauss, Kalman) verbrachten auch die Grünwalds die Sommermonate in Bad Ischl.

Obwohl das Deutsche Reich ab 1933 Grünwalds Operetten sperrte, wollte und konnte Alfred Grünwald die drohende Gefahr nicht erkennen. Grünwald, der ein begeisterter Wiener war, fand sich in der Emigration in den USA nur sehr schwer zurecht. Bis zu seinem frühen Tod 1951 musste er das Leben eines namenlosen Emigranten führen.




DICHTER

Dichter und Literaten am Alsergrund:



Stefan ZWEIG (1881-1942 in Petropolis)
Besuchte das Wasagymnasium, wo er auch maturierte.

Zweig war kein politischer Mensch, er sah sich als kultureller Mittler zwischen den einzelnen Kulturen in Europa. Mit seinem Werk „Die Welt von Gestern“ setzte er der jüdischen Bourgeoisie, die zum Hauptträger der Wiener Kunst und Kultur um die Jahrhundertwende wurde, ein großartiges Denkmal. Die jüdischen Väter seiner Generation waren oft „Selfmademen“. Ihre Söhne konnten, ohne sich um ihren Lebensunterhalt kümmern zu müssen, sich ganz der Kunst und der Literatur widmen.

Zweig war ein ewig Suchender, der sich nach dem Ersten Weltkrieg bereits verloren und entwurzelt fühlte. Sein Selbstmord 1942 war (so sein Freund Gustinus Ambrosi) ein Weichen vor der Macht.

Zweig kannte Theodor Herzl persönlich, da Herzl Zweigs erste Geschichten, die in der Neuen Freien Presse erschienen, als Feuilletonredakteur beurteilte. Einige seiner bekanntesten Werke seien an dieser Stelle erwähnt: „Angst“ (1920), „Verwirrung der Gefühle“ (1927), „Ungeduld des Herzens“ (1939), „Sternstunden der Menschheit“ (1927).




Friedrich TORBERG (1908-1979)
recte Kantor-Berg

Er wohnte in der Porzellangasse 7A, besuchte das Wasagymnasium. Seine Matura machte er aber nach der Übersiedlung seiner Familie in Prag. Nach seiner Emigration kam er 1951 als amerikanischer Staatsbürger wieder nach Wien zurück. Torberg war ein stolzer Jude, der sich als einer der letzten deutsch-jüdischen Schriftsteller sah. Er befasste sich auch mit der Problematik des Judentums im 20. Jahrhundert. 1948 „Hier bin ich, mein Vater“.

Seine bekanntesten Werke sind „Der Schüler Gerber“ (1930), „Die Tante Jolesch“ (1975), „Die Erben der Tante Jolesch“ (1978), „Die Mannschaft“ (1935), „Kaffeehaus war überall“ (1982).




Felix SALTEN (1869-1945)
er wurde in Budapest geboren und starb in Zürich.

In Wien wohnte er in der Berggasse 13. Recte hieß er Siegmund Salzmann; er war der Onkel von Karl Farkas.

Zwei sehr unterschiedliche Werke machten ihn berühmt: „Bambi“ und „Josefine Mutzenbacher“ (dieses Werk wird Salten zugeschrieben).




Leo PERUTZ (1882-1957)
wurde in Prag geboren. Er lebte bis zu seiner Emigration nach Tel Aviv in der Berggasse 5. Von Beruf war er Versicherungsmathematiker. Perutz starb in Bad Ischl. Bedeutendste Werke: „Die dritte Kugel“ (1915), „Der Meister des jüngsten Tages“ (1923), „Nachts unter der steinernen Brücke“ (1953), „Wohin rollst du, Äpfelchen?“




Jura SOYFER (1912-1939)
wurde als Sohn adeliger Eltern in Russland geboren, starb im KZ Buchenwald. Er war einer der „Hausautoren“ beim ABC-Kabarett in der Porzellangasse 1. Zu seinen Werken gehören u. a. „Der Lechner Edi schaut ins Paradies“ (1974) und „Die Ordnung schuf der liebe Gott“ (1979).




Richard BEER-HOFMANN (1866-1945)
er war der einzige homo judaicus unter den Literaten aus dem Kreise „Jung Wien“. Auch er war, wie so viele andere Juden auch, promovierter Jurist. Vor seiner Emigration wohnte er 1938/1939 im Hotel Atlanta, Währinger Straße 33. Zu seinen Werken gehören u. a. „Der Tod Georgs“ (1900), „Jaakobs Traum“ (1918) und „Gedichte“ (1941).




Franz WERFEL (1890-1945)
war ein geborener Prager. Er lebte 1918 für kurze Zeit in der Boltzmanngasse 22. Nach seiner Emigration lebte auch er in den USA.

Zu seinen zahlreichen Werken gehören „Die vierzig Tage des Musa Dagh“ (1933), „Das Lied von Bernadette“ (1941), „Verdi“ (1923), „Jakobowsky und der Oberst“ (1945).




Arthur SCHNITZLER (1862-1931)
nach seiner Ausbildung zum Arzt am AKH von 1885 bis 1888 arbeitete er für kurze Zeit an der Poliklinik unter der Leitung seines Vaters, bevor er sich immer mehr dem Dichten widmete. Schnitzler beschrieb seine Epoche ohne auf Konventionen Rücksicht zu nehmen. Seine Werke riefen oft Skandale hervor, so u. a. „Liebelei“ (1895) und „Leutnant Gustl“ (1901). In dem Stück „Professor Bernhardi“ (1912) beschäftigte er sich mit der Judenproblematik. Weitere Werke von Schnitzler sind: „Anatol“ (1893), „Reigen“ (1900) und „Fräulein Else“




Hermann BROCH (1886-1951)
wuchs im Textilviertel auf. Er lebte nach der Scheidung von seiner Frau von 1923 bis 1930 bei seiner Freundin Emma von Alesch in der Peregringasse 1. Broch verstarb nach seiner Emigration in den USA. Zwei seiner Werke heißen „Die Schlafwandler“ (1931/1932) und „Die Schuldlosen“ (1950).




Erich FRIED (1921-1988)
wurde am 6. Mai 1921 in der Alserbachstraße 11 geboren. Der siebzehnjährig - mit dem Vorsatz, "Schriftsteller [...] gegen Faschismus, Rassismus, Unterdrückung und Austreibung unschuldiger Menschen" zu werden - ins Londoner Exil vertriebene Jude Erich Fried war einer der produktivsten und auflagenstärksten deutschsprachigen Lyriker der 70er und 80er Jahre. Bereits in den 60er Jahren festigte sich sein Ruf als 'politischer Dichter', angefangen mit den "Warngedichten" (1964), spätestens jedoch seit dem Erscheinen seiner Sammlung "und Vietnam und" (1966). Der nach wie vor populärste Band innerhalb seiner zahlreichen Lyrikpublikationen ist aber seine Sammlung "Liebesgedichte" (1979). Daneben wirkte er auch als Prosaautor, Journalist und anerkannter Übersetzer (insbesondere von William Shakespeare).
Für sein Schaffen wurde Erich Fried mehrfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem Österreichischen Würdigungspreis für Literatur 1972, dem Internationalen Verlegerpreis der Sieben (1979), dem Bremer Literaturpreis (1983), dem Goldenen Ehrenzeichen für Verdienste um das Land Wien (1985) und dem Österreichischen Staatspreis für Verdienste um die österreichische Kultur im Ausland (1986). In der Urkunde zur Verleihung des Georg-Büchner-Preises heißt es: "Die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung verleiht den Georg-Büchner-Preis 1987 Erich Fried, der in seinen poetischen Werken wie in seinen Übersetzungen die deutsche Sprache aus Verdunkelungen und aus dem Geschwätz zu einer unmißverständlichen Triftigkeit führt. Sie würdigt den in jeder Hinsicht mutigen Schriftsteller, der es nicht aufgibt, gegen die Übermacht der Mißstände unserer Welt zu schreiben, bei dem Sprache und Handeln, Wort und Sache eine maßgebliche Einheit werden". Erich Fried war schon stark von seinem Krebsleiden gezeichnet, als ihm im Januar 1988 die Universität Osnabrück die Ehrendoktorwürde verlieh.
Im November 1998, zehn Jahre nach seinem Tod, wurde das BRG 9 (Glasergasse 25) nach Erich Fried benannt.






GASSEN

Gassen und Straßen mit Bezug zum jüdischen Leben

Der gehörte zu den judenreichen Bezirken, insbesondere in der Roßau konzentrierten sich zahlreiche jüdische Institutionen. In der Müllnergasse 21, mit dem Eingang durch die Grünentorgasse 13, wurde 1889 von dem Architekten Max Fleischer die Synagoge „Chewrah Beth Hatfilah“ des 1867 gegründeten Bethausvereines erbaut.

lm 6. Hofe des Allgemeinen Krankenhauses in der Alser Straße 4 wurde 1903 ein kleines, pavillonartiges Bethaus für Patienten eingerichtet.

In der Grünentorgasse 28 stand das 1890 von Samuel Brunner gegründete „Beth Hamidrasch Ohel Abraham“.

In der Müllnergasse 24 befand sich das 1901 gegründete Bethaus „Beth Jakob“.

In der Nußdorfer Straße 14 stand das Privatbethaus des Großrabbiners von Hussiatin, Israel Friedmann.

In der Pfluggasse 5 befand sich das 1899 gegründete Bethaus „Adat Jeschurun“

In der Stroheckgasse 5 stand das Vereinsbethaus „Esrat Isroel“.

Darüber hinaus wurden zahlreiche jüdische Vereinslokale zu den Hohen Feiertagen als Bethäuser zugelassen.

In der Türkenstraße 9 befand sich das für die Geschichte des Zionismus so bedeutende Gebäude, in dem bis zum Tode Herzls das „Engere Aktionskomitee“ seinen Sitz hatte. Am 18. August 1925 hatte Oberrabbiner Dr. Chajes im Hofe dieses Gebäudes anlässlich des 14. Zionistenkongresses eine Gedenktafel an die Gründung der Weltorganisation durch Herzl enthüllt.

Im Gebäude des Handelsmuseums, am Julius-Tandler-Platz 11, befand sich der 1866 gegründete „Mädchenunterstützungsverein“.

In der Berggasse 16 amtierte der „Austro-Palästinensische Wirtschaftsdienst“, dessen Zweck die Förderung der wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Österreich und Palästina war.

Der Verein „Jüdische Menschenfreunde“ war in der Berggasse 33 untergebracht, wo er auch einen Gesangsverein unterhielt.

In der Garnisongasse 4 hatte viele Jahre hindurch der Verein „Jüdische Kultur“ seine Lokalitäten.

Die Ausspeisungsstelle der Israelitischen Kultusgemeinde befand sich in der Glasergasse 16.

In der Grünentorgasse 26 befand sich das unter der Patronanz der Bne- Brith-Loge stehende „Jüdische Lehrlingsheim Zukunft“ des Vereins zur Erziehung und Erhaltung jüdischer Lehrlinge und Unterstützung israelitischer Handwerkervereine. Dieser ging aus der Fusion des 1840 von Josef v. Wertheimer gegründeten „Vereins zur Beförderung der Handwerke unter den inländischen Israeliten“ mit dem in der Nachkriegszeit in den Baumgartner Baracken gegründeten Verein „Zukunft“ zur Förderung schulentwachsener, verlassener Kinder hervor. Das Lehrlingsheim wurde 1916 aufgestockt, gab vielen Zöglingen Raum und diente nach 1933 auch der Unterbringung von Jugendlichen, die aus Nazi-Deutschland geflüchtet waren.

In der Hörlgasse 13 befand sich das Vereinslokal des Jugendbundes „Gdud Zeirim“.

In der Hörlgasse 14 hatte der Sport- und Schützenverein „Haganah“ Übungslokale.

In die Kinderspitalgasse 4 wurde 1847 das vom jüdischen Militärarzt und späteren Professor der Kinderheilkunde, Dr. Wilhelm Mauthner, gegründete „Mauthner-Spital“ übertragen und auf „St.-Anna-Kinderspital“ umbenannt. In der Vorhalle blieb aber das Andenken des Begründers durch eine Gedenktafel erhalten.

In der Kolingasse 14 lag der Sitz des „Verbandes der jüdischen Frauenwohltätigkeitsverbände“.

In der Lazarettgasse 6 befand sich die „Mensa academica judaica“, die nach der Vertreibung jüdischer Studenten aus der allgemeinen Mensa durch deutschnationale Studenten errichtet wurde.

Die Lokalitäten des „Ersten Wiener jüdischen Turnvereines“, der 1921 auf „Makkabi IX“ umbenannt wurde und dessen Geschichte bis 1897 zurückreicht, befanden sich in der Liechtensteinstraße 20.

In der Kolingasse 20 befand sich viele Jahre hindurch der Verein „Kinderheim“.

In der Müllnergasse 21 befand sich der 1893 vom langjährigen Präsidenten des Müllnertempels, Gottlieb Bettelheim, gegründete Verein „Frauenhort“, dem die Bekleidung armer jüdischer Schulkinder oblag.

In der Pfluggasse 5 war dem dort befindlichen Bethaus eine Sprachschule des orthodoxen Vereins „Thoras Chaim“ und der Frauenverein „Ahawath Chessed“ angeschlossen.

In der Porzellangasse 24 hatte der 1901 gegründete „Witwen- und Waisenverein Menschenliebe“ sein Heim, zu dessen Gründern der Friedensnobelpreisträger Alfred H. Fried gehört hatte.

In der Pramergasse 5 befand sich der „Jüdische Schulverein für den 9. Bezirk“.

In der Rotenlöwengasse war der Sport- und Turnverein „Hapoel Hachadasch“.

In der Seegasse 6 befand sich der Krankenunterstützungsverein „Gomle Chessed“.

In der Seegasse 7 war der „Jüdische Witwen-Waisen-Hilfs- und Ausspeiseverein“.

In der Seegasse 9 befindet sich das „Altersheim der Israelitischen Kultusgemeinde“, bis 1933 „Israelitisches Versorgungs- und Siechenhaus“ genannt, das 1888/90 zur Erinnerung an die 40jährige Regierung des Kaisers Franz Joseph I. errichtet wurde, und zwar an der Stelle des 1698 von Samuel Oppenheimer unweit des alten „Israelitischen Leichenhofes“ gegründeten „Spitals der sämtlichen Judenschaft“, das 1793 von der „Judengemeinde“ umgebaut wurde. 1898/1901 erfuhr das Altersheim zum 50. Regierungsjubiläum des Kaisers seine erste, 1934/35 seine zweite Erweiterung. Dieses Institut zählte in seinen Blütejahren zweifellos zu den größten und modernsten in Europa überhaupt.

In der Severingasse 6 lag das Büro des 1920 von Esther von Mieses begründeten „Jüdischen Frauenbundes“.

Am Alsergrund, unweit des Universitätskomplexes, hatten fast alle zionistischen Studentenverbände ihre Lokale, alle Studentenvereine und Verbindungen ihre „Buden“. Der Jüdische Hochschulausschuß, der lange Jahre hindurch die Zeitschrift „Esra“ herausgab, die Exekutive des Dachverbandes jüdischer Hochschüler Österreichs „Judäa“, der „Jüdisch-Akademische Juristenverein“, der „Jüdisch-Akademische Philosophenverein“, der „Jüdisch-Akademische Technikerverband“, der „Akademische Verein jüdischer Mediziner“, die „Vereinigung jüdischer Hörer an der Hochschule für Welthandel“, der „Verband zionistischer Hochschülerinnen“, der jüdisch-akademische Kulturverband „Jabne“, der akademische Verband hebräisch sprechender Studenten „Hatchija“, der Verband Hebräischer Akademiker „Tarbuth“ und zahlreiche andere Institutionen befanden sich am Alsergrund.

In der Servitengasse 8 befand sich der Jugendbund „Brith Herzl“.

In der Türkenstraße 15 war der Chalutzkreis „Heatid“.

In der Türkenstraße 19 lagen die Kanzleiräume des 1892 gegründeten Vereines „Ferienheim“, der seit 1906 das Heim „Mühlhof“ in Vöslau und das „Seehospitz“ in Grado besaß.

In der Universitätsstraße 4 war der Sitz der „Bne Brith“ und der Logen „Wien“, „Eintracht“, „Wahrheit“ und „Massadah“. Hier waren auch die Lokale des Vereines zur Rettung verlassener jüdischer Kinder „Mittelstandsfürsorge“, der 1916 für die verlassenen Kinder der zerstörten Städte Galiziens und der Bukowina gegründet wurde und nach dem Krieg auf die Fürsorge für bedürftige jüdische Kinder beschränkt wurde. Von hier aus wurde auch das „B. B. Mitteilungen für Österreich“ betitelte Verbandsorgan herausgegeben.

Die Redaktion der von der Judenstaatspartei herausgegebenen Zeitschrift „Die Neue Welt“ befand sich in der Universitätsstraße 6.

In der Wasagasse 8 befand sich viele Jahre hindurch die „Stiftung der Baronin Hirsch zur Unterstützung von Kleingewerbetreibenden und hilfsbedürftigen Gewerbeleuten“.

In der Währinger Straße 6-8 (Hörlgasse 2) befanden sich die geräumigen Lokalitäten der Allgemeinen Zionisten, Gruppe B, in denen sich auch ein Kindergarten, eine Sprach- und Bibelschule und ein hebräischer Sprachverein befanden.

In der Währinger Straße 46 gab es den 1868 gegründeten Krankenunterstützungs- und Leichenverein „Chewra Bikkur Cholim“.

Die Bezirkssektionen aller zionistischen Gruppen in Jugendverbänden, Bibelschulen, Ausspeisungsstätten, die Landsmannschaften und humanitären Verbände - sie alle hatten in der Roßau und in anderen Teilen des umfangreichen Bezirkes ihre Zweigstellen.

Die Alfred-Grünfeld-Gasse war nach dem großen Klavierkünstler, die Glasergasse nach dem Justizminister und Schöpfer der österreichischen Strafprozessordnung, Prof. Dr. Julius Anton (vor der Taufe: Josua) Glaser benannt.

Die in der Mariannengasse 10 errichtete Allgemeine Poliklinik verdankte ihren Bestand hauptsächlich den Spenden der Brüder Baron Albert und Nathaniel von Rothschild und der Gebrüder David und Wilhelm von Gutmann. Unter den an der Fassade dieses Gebäudes angebrachten Bronzemedaillons berühmter Mediziner des 19. Jahrhunderts befanden sich zahlreiche Juden.

Im großen Hörsaal des Physiologischen Instituts in der Schwarzspanierstraße/ Währinger Straße wurde die Büste Prof. Dr. Siegmund Exner errichtet.